Wie ziegt sich Boreout in der HRV?

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  • Wie ziegt sich Boreout in der HRV?

    Hallo in die Runde!
    Ich hätte gerne mal wieder Eure Meinungen und Rückmeldungen.
    Der Klient ist mir seit einiger Zeit bekannt. Die Messung wollte er um zu sehen, wie sich seine derzeitige Arbeitssituation auf ihn auswirkt.
    Er ist seit über 20 Jahren in einer Führungsposition inkl. Betriebsratfunktion, die Firma seit mehr als 3 Jahren im Insolvenzverfahren. Es gibt keine Arbeit für ihn, er sagt immer "Irgendwann mach ich dort das Licht aus." Er findet (und will auch nicht) auf Grund seines Alters einen Absprung. Werte wie Zusammengehörigkeit und Gerechtigkeit sind für ihn wichtig, wie der Wunsch in der Gesellschaft etwas zu bewegen. Der Arbeitstag ist eintönig, da er sich "was zum arbeiten suchen" muss. Wenn es was gibt, ist es eher negativ mit Streitgesprächen oder damit verbunden andere Mitarbeiter zu motivieren....
    Nun zu seiner Messung und meiner Frage:
    Wie zeigt sich ein vom Klienten beschriebenes Boreout? Depressiv ist er nicht. Allerdings könnte man die Messung mit dem Bild eines chron. Stress oder Depression (mentalen Stress) vergleichen.
    Total Power und alle Frequenzbereiche deutlich reduziert. Der Vagus ist weggebrochen und auch die Substanz ist am abbauen. Schlaf wird als gut bewertet, ohne Regeneration. Dynamik A und B nicht berauschend.
    Neben allen messbaren Fakten, sehe ich dann noch die Aktivitäten... Kaum Nahrung und wenn dann mit großen Zeiten dazwischen. Den Einbruch beim Abendessen, werde ich nochmal erfragen. Ich vermute ein paar Bier dazu. Er beschreibt sich als sehr "gesellig" und ist ein Bierliebhaber.
    Wenig Schlaf und dann nicht erholsam. Keine Aktivitäten außer TV und Musik beim Autofahren die er für sich nutzt...

    Danke für Eure Anregungen und Erfahrungen!
    Liebe Grüße Nicole


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  • #2
    Hallo Nicole,

    Ich habe bisher noch keine Erfahrung mit Boreout gehabt. Dennoch stellt sich mir die brennende Frage "Wofür brennt dein Klient noch", also worin kann er aufgehen, was kann ihm Spaß machen? Wenn er das momentan nicht hat, dann kann ich mir schon gut vorstellen, dass das Bild dem einer Depression ähnelt. Aber vielleicht gibt es hier noch ein paar Erfahrungen.

    Weißt du, wielange das Insolvenzverfahren noch läuft, wie die weiteren Schritte sind? Will dein Klient das bis zu seiner Pension durchziehen? Kann er die Firma verlassen? Weitermachen kann er so natürlich nicht, aber das wird er vermutlich selbst auch schon wissen, wenn er sagt, dass er nicht wirklich etwas zu tun hat, und wenn, dann nur belastende Dinge. Kann er in seiner jetzigen Position etwas an seinem Alltag und dem der Mitarbeiter ändern?

    Wie sieht es in seinem Privatleben aus? Ist das stabil? Hat er Hobbies, ein soziales Netzwerk, etc?

    Liebe Grüße,
    Lisa

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    • #3
      Hallo Lisa,
      Vielen Dank! Gerne noch ein paar Details am Rande...
      An der Arbeitssituiation wird sich nichts ändern! Er wird wirklich als letzter dort rausgehen. Die meisten sind entweder ausbezahlt worden, oder haben sich was anderes gesucht. Auf Grund seines Alters ist die Vermittlung am Arbeitsmarkt schwierig. Er will bis zur Frühpensionierung aushalten, auch des Geldes wegen. Es ist aber fix, dass es zu keiner Besserung der Situation kommt. Es ist einfach ein Gebäude, in welches er Tag für Tag geht, seine Zeit absitzt und dafür bezahlt wird.
      Ausbezahlt werden kann er auf Grund der Betriebsratfunktion nicht, die Firma unterstützt dies auch nicht und will ihn halten.

      Privat ist er sehr gut aufgestellt und höchst zufrieden. In einer stabilen Beziehung, große Familie mit starker Verbundenheit, viele Freunde. Er ist sehr kommunikativ und offen, nutzt seine Freizeit für Zusammenkünfte und Austausch mit Freunden und Familie. Musik ist sein Hobby! Er nutzt die meiste Zeit mit sich allein um Musik zu hören, zu machen auf Konzerte zu gehen usw.
      Auch in der Messung war am Abend die Familie da (Frau, Schwiegersohn, Tochter und Enkel). Ich vermute hier allerdings zum Essen, wie gesagt, genug Bier und damit den Einbruch...
      Ich glaube, dass sich hier nicht noch ein viel schlimmeres Bild zeigt, weil er sowohl sozial als auch emotional gut versorgt ist und dies alles fördert und geniesst.

      Ich kenne ihn schon eine ganz Weile als Klient. Es zeigen sich für mich keine depressiven Verhlatensweisen. Er hat Ziele (keine beruflichen), brennt für Musik und Familie. Er wollte die Messung auch nur wegen der Arbeitssituation! Ehrlich gesagt, habe ich es selber nicht so erwartet... Aber wir werden sehen, was diese bei ihm bewirkt.

      Liebe Grüße Nicole


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      • #4
        Hallo Nicole,

        der Begriff Boreout geistert zwar immer noch durch die Literatur, ich halte ihn aber – im Gegensatz zu Burnout – für einen eher unglücklichen, nichtssagenden Kunstbegriff – „ausfadisieren“ oder was? (Burnin klingt ja auch wie Einbrenn.) Anyway… Dein Klient lebt offensichtlich in 2 Welten: der Arbeitswelt einerseits und der Gegenwelt zuhause andererseits. Beide könnten unterschiedlicher nicht sein.

        Im Spektrogramm selbst ist ja nicht wirklich sehr viel Unterschied zu erkennen, was er gerade tut. Dafür, dass er keinen Sport betreibt, ist er nicht sehr ökonomisch unterwegs (viele Herzschläge), was Du ja auch schon im verschlissenen Vagus erkannt hast (pNN niedrig, HF zweistellig, RMSSD schlecht). Er tut nichts, und das ineffizient. Was ich besonders bedenklich finde ist, dass sich die zirkadiane Rhythmik umgedreht hat. (TP im Schlaf niedriger als tagsüber, d. h. nachts keinerlei Thermoregulation, d. h. seine Funktionssysteme machen keinen richtigen Check und Restart.)

        Die Situation, in die er sich durch seine hoffentlich autonom gefällte Entscheidung (=selbst getroffen und aus guten Gründen), bis zur Frühpension gnadenlos durchzubeißen, gebracht hat, halte ich für nicht ungefährlich. Wer sich jahrelang jeden Morgen die Frage stellt „Wozu das Ganze?“ oder „Noch 3 Jahre! Wie soll das nur gehen?“, dem geht diese Situation irgendwann unter die Haut und es machen sich entweder psychosomatische Befindlichkeitsstörungen breit oder er kompensiert den Frust – vorsichtig ausgedrückt – durch zu viel Genuss (also so was wie Suchtverhalten). Selbst dann, wenn er ein gut funktionierendes soziales Umfeld hat und noch zusätzlich sinnvolle Tätigkeiten in der Freizeit, wo er zeigen kann wer er wirklich ist und was er wirklich kann, fehlt die Arbeit als wichtiger Identifikationsfaktor seines Selbstbildes.

        Ich möchte die Erkenntnis von Frankl (bzw. Schopenhauer) mal umdrehen: „Wer kein richtiges Warum hat, erträgt auf Dauer auch kein Wie.“ Angesichts dessen halte ich sogar die Arbeitslosigkeit für eine nicht schlecht zu redende Alternative. Jahrelang den einzigen Gedanken durchzukauen, der einen nicht an der Welt verzweifelt lässt, nämlich hoffentlich irgendwann die Frühpension zu erreichen, ist schon eine Herausforderung und sammelt enormes Frustpotenzial an. Es muss ja auch irgendwie kränkend sein, wenn einem bewusst wird, dass tagtäglich unwiederbringliche Lebenszeit verstreicht, die man in ein Unternehmen investiert, das keine Zukunft hat. Wenn es schon scheinbar keine Alternative zum glücklichen Erreichen der Frühpension gibt und es ja offenbar völlig egal ist, was er während seiner Anwesenheit tut, dann könnte er sich ja zumindest irgend eine Betätigung suchen, die dem sog. „Arbeits“alltag einen Inhalt gibt, der darüber hinausgeht, auf den Feierabend zu warten.

        Ich hatte mal einen Kunden, dem es ganz ähnlich erging. Auf meine Anregung hin, sich im Büro zumindest irgendwie sinnvoll zu beschäftigen anstatt 5x/Woche auf den Feierabend hinzuwarten, habe ich ihn gebeten mal nachzudenken, was ihn vor langer Zeit schon interessiert hat (wofür er gebrannt hat), er dafür aber aus beruflichen Gründen nie Zeit gefunden hat. Er hat bald darauf gekündigt und wurde innerhalb von 2, 3 Jahren zu einem international anerkannten Spezialisten für Wappenkunde und hält Vorträge im ganzen deutschsprachigen Raum. In seiner Kindheit war genau das sein Steckenpferd. Beruflich tätig war er in einer Versicherung als frustrierter Sachbearbeiter…

        Als „stark in VLF“ braucht Dein Kunde dringend 3 Dinge: Ziele, Ziele, Ziele! Das Erreichen der Frühpension mag ja durchaus so eines sein, aber wenn das Ziel auch noch halbwegs Sinn haben soll, braucht es eindeutig was Anderes. Wenn er die „paar Biere“ nicht gewohnheitsmäßig aus Frust, sondern mal aus Lust, Jux und Tollerei getrunken hat, dann geht’s ja noch. Hak mal nach… Eigentlich bräuchte er auch so was wie eine Lebensberatung, um zu einer nachhaltigen Perspektive zu kommen. Aber vielleicht bekommt er das durch Dich ja sowieso.

        Mit lieben Grüßen, Erich

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        • #5
          Lieber Erich,

          Vielen lieben Dank auch für Deine Gedanken und Anregungen!
          Über den Begriff Boreout läßt sich streiten und ich sehe es ähnlich wie Du ;-) . Ich habe ihn auch eher als Überbegriff und Zusammenfassung der Situation gewählt. Im Grunde macht es für mich als Berater kaum einen Unterschied, ob es sich der Klient nahe am Burnout oder "Boreout" befindet. Es geht fast immer um Sinnhaftigkeit und das Erkennen und Verfolgen der passenden Ziele dazu.

          Klienten mit ähnlichen Situationen, hatte ich auch schon, allerdings noch nie in Verbindung mit einer HRV Messung. Dehalb wollte ich wissen, ob es innerhalb der HRV evtl. Vergleichbarkeiten gibt.

          Ich bin doch sehr gespannt, wie der Klient auf seine Messung reagiert... Vielleicht öffnet es ihm noch mehr die Augen und er erkennt nun die Dringlichkeit für sich. Bis dato wollte er die Arbeitswelt eher aus der Beratung ausschliessen. Er scheint aber sehr wohl zu wissen, wo der Schuh drückt, sonst hätte er nicht nach der Messung im Arbeitsalltag gefragt! Er hatte bzgl. Zielerarbeitung im Arbeitsbereich eher blockiert und viele Dinge im privaten Kontext erarbeitet. Zur Ressourcenstärkung sicher auch sehr hilfreich, aber auf Dauer nicht ausreichend...

          Über die Suchtgefahr in diesem Themenbereich bin ich mir sehr bewußt. Deshalb habe ich ja bereits die Info des Bierkonsumes (vor dem HRV Coaching Gespräch).
          Wer übermäßig sucht, findet oft die SUCHT :-(
          Es wird zwar vom Klienten als gesellig abgetan und gehört für ihn zum "Genuß", sollte man aber auch im Auge behalten!
          "Lust ist immer spontan, Sucht strukturell!"

          Jedenfalls eröffnen sich mir als Berater viele neue Möglichkeiten mit der HRV Messung. Das was ich bei diesem Klienten über eine 24h Messung in Erfahrung bringen konnte, hätte er in vielen Gesprächen nicht preisgegeben und wahrscheinlich war es ihm bis jetzt auch nicht bewußt und es brodelte im Unterbewußtsein.

          Ganz liebe Grüße

          Nicole

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